Meine damalige Ausgangssituation: solider Studentenjob inkl. Angebot für eine Fixanstellung nach Studienende, Magisterarbeit abgegeben, bis zur Prüfung noch 4 Monate Zeit. Wohnhaft in Bonn. Finde den Haken. Richtig: Bonn! Eine nette (Klein-)Stadt, gut geeignet zum Studieren, aber für mich persönlich zum damaligen Zeitpunkt (und auch heute noch) keine langfristige Wohnoption. Gedanken nach dem wohin nach dem Studium beschäftigten mich schon länger. Und dann telefonierte ich eines Abends mit einer sehr guten Freundin aus Wien und beschloss noch während dieses Telefonates, meinen Job zu kündigen und nach Wien zu ziehen: auf die Prüfung vorbereiten könnte ich mich auch dort. Und da ich eine Freundin von schnellen Nägeln mit Köpfen bin, machte ich mich 3 Monate später auf nach Wien: mit zwei Kisten und zwei Koffern.
Und dann war ich da. Die Frage, warum genau ich dort hingegangen war, was ich dort gemacht habe, kann ich nach wie vor noch nicht für Menschen mit gesundem Verstand nachvollziehbar beantworten – es war einfach ein Instinkt, dem ich gefolgt bin (vgl. Zitat Lebensmaxime). Jedenfalls habe ich ein halbes Jahr in Wien gelebt und zum Wiener Schmäh eine Hassliebe entwickelt. Mit sehr viel mehr Liebe als Hass versteht sich. Nicht nur, dass sich die österreichische Kultur von der für mich deutschen mehr unterscheidet als ich vorher gedacht hätte (was prinzipiell überhaupt nicht schlimm ist, im Gegenteil).
Das schlägt sich dann auch deutlich in der Sprache nieder. Nicht, weil sich einige Wörter vom Hochdeutschen unterscheiden, das Wiener Beharren auf dem Gebrauch des österreichischen Wortschatzes ist das Bemerkenswerte. Immerhin weiß ich nun, dass es gewisse Ausdrücke gibt, die NIEMALS verwendet werden dürfen – wenn man als Deutsche gemocht werden will. Nachdem ich des Öfteren angepflaumt wurde, weil ich in der Bäckerei ein Brötchen bestellte – und mir die Aushändigung desselben unter Verwendung des Begriffes Brötchen sogar verweigert wurde – resignierte ich irgendwann und bestellte artig Semmel. Neben Brötchen gilt ” Tüte “als absolutes Unwort. Die Reaktionen darauf sind wohl so, als würde man in Düsseldorf Kölsch bestellen.
Da ich meine Zeit genießen wollte und man es als deutsche Staatsbürgerin (falls außerhalb Bayerns gebürtig) ohnehin nicht einfach hat, versuchte ich mich anzupassen, bestellte artig meinen Verlängerten (=schwarzen Kaffee) mit Kandisin (=Süßstoff). Ab und zu dann noch faschierte Laiberl (=Frikadelle; nach Brötchen und Tüte meistgehasstes Wort no. 3). Erdäpfel mit Melanzani (=Kartoffel und Zucchini) und zum Nachtisch kein Gebäck (das sind nämlich Brötchen beim Bäcker), sondern Kuchen mit Schlagobers (=Sahne). An der Käsetheke habe ich artig die Grammzahl in Deka umgerechnet (100g=10Deka). Einzig das Wort Nylonsackerl (=Plastiktüte) kam mir nie über die Lippen, das wäre einfach zu viel gewesen.
Ein weiteres absolutes no go bzw. no do ist das Fahrradfahren auf dem Bürgersteig. Wird dies hierzulande (in zivilisierter Schrittgeschwindigkeit wohlgemerkt) maximal eines missbilligenden Blickes gewürdigt, so muss man sich in Wien auf folgendes gefasst machen: “Sind’s deppert junge Frau. Steigens aaaaaaaab!!! Sinds deppert!!!” Das ganze durch die komplette Kärntnerstraße hinterhergeBRÜLLT in einer Lautstärke, bei der Tenöre in der Oper nebenan neidvoll erblassen würden…
Resümierend sage ich, dass Wien eine tolle Stadt ist, multikulturell und sehr vielfältig, vor allem außerhalb des ersten Bezirkes mit all seinen pompösen Prunkbauten. Es ist diese Mischung aus atemberaubend schöner Architektur, fühlbarer Geschichte, osteuropäischem Wind, alternativen Bars und Cafés und kulturellem Angebot, die Wien lebenswert machen. Deshalb komme ich auch, nachdem ich Wien den Rücken gekehrt habe um nach Berlin zu ziehen, immer wieder gerne in die – wie viele meinen schönste Stadt Europas – zurück.
Haaa. Nächste Woche werde ich ein paar Tage in Wien verbringen. Nach deinem kleinen Rückblick auf deine Zeit in Wien freue ich mich nun einmal mehr auf meine Reise.
Was sollte man sich deiner Meinung nach (fernab von den Reiseführern) in Wien ansehen? Gibt es da etwas, was vielleicht in keinem Reiseführer steht und du empfehlen würdest?
Grüße Torsten
Hey! Warst du schonmal in Wien? Also im Sommer würde mir definitiv mehr einfallen, aber natürlich musst du eine Kaffeehaustour machen. An der rechten und linken Wienzeile entlang des Naschmarkts gibt es viele nette Lokale. Wenn du es klassisch magst: Kaffeehaus Sperl auf der Gumpendorfer Straße. Am Spittelberg ist es auch SEHR nett. Das Cafe Westend am Westbahnhof ist auch gut, ein altes Kaffeehaus eben. Und ein etwas anderes Wien findet sich am Brunnenmarkt im 16. Bezirk, da war ich im Sommer fast jeden Tag :). Grüß mir die Stadt mal und viel Spaß!